7
Jun
2009

Am Friedhof

Lieber Papa,

gestern habe ich es endlich geschafft, nachdem ich es mir ca. 4 lange Jahre vorgenommen habe, auf den Friedhof zu gehen. Und als ich dort an deinem Grab stand, da merkte ich wiedermal: Zeit heilt keine Wunden, sie lehrt uns bloß damit zu leben. Nein, das ist nicht ganz richtig, die Wunden heilen wohl, doch es bleiben Narben. Große und kleine. Und wie es so ist bei Narben, spürt man sie manchmal tage- oder gar wochenlang nicht, nur um dann den Schmerz noch intensiver wahrzunehmen. Genauso ging es mir gestern. Das einzige, was mich auf den Beinen gehalten hat, war Krümel neben mir. Also lächelte ich für sie, stellte die Blumen hin, zündete kurz die Kerze an um zuzusehen, wie sie im Wind sehr schnell wieder ausging. Danach kurz innehalten um dann die Flucht anzutreten...
...denn alles in mir wollte den Schmerz hinausschreien, die Ungerechtigkeit, dass du nicht mehr bei uns sein kannst, innerlich schlug ich um mich, weinte, schrie, verzweifelte. Innerlich zerbrach ich immer und immer wieder solange ich dort stand. Dort. Vor diesem Stein, der mir nur zu real zeigt, dass du nie wieder kommst. Dort. Wo es endgültig endet. Dort. Wo man nichts mehr vergessen und verdrängen kann.

Ja, lieber Papa, darum war ich solange nicht mehr an deinem Grab. Weil ich noch immer nicht bereit bin anzunehmen, dass du für immer gegangen bist. Weil ich dort den Schmerz und die Verzweiflung am Stärksten spüre. Ich habe immer behauptet, ich würde nicht auf den Friedhof gehen, weil ich mit diesen kalten, gefühllosen Steinen nichts anfangen kann. Weil ich dort keine Verbindung zu dir habe. Doch das ist nicht wahr. Das habe ich bloß für mich (und vielleicht auch für die anderen) als Ausrede benutzt um nicht dorthin zu müssen. Gerade dort holt mich die Realität so unausweichlich und erbarmungslos ein. Gerade dort kann ich meine Gedanken, meine Gefühle durch nichts ablenken.

Ich sollte wohl das nächste Mal alleine kommen. Ich sollte alleine dort stehen und die Tränen und den Schmerz hinauslassen. Ich sollte...

Ja, ich sollte... ich sollte lernen, meine Gefühle nicht immer so sehr zu unterdrücken. Vielleicht sollte ich den Schmerz hinausschreien. Die Trauer, die Wut, die Verzweiflung zulassen. Doch hundert Gründe fallen mir ein, warum ich es immer und immer wieder unterdrücken muß. Allen voran Krümel. Ich muß doch da sein für sie, stark sein für sie, funktionieren für sie. Ich muß... ich sollte... ich könnte...

Papa, du fehlst mir einfach immer noch unglaublich. Tage- manchmal sogar wochenlang spüre ich nichts von diesem Schmerz. Doch nun ist er wieder da. Und jedesmal wenn er wiederkehrt, glaube ich an all den ungeweinten Tränen zu ersticken. An all den lautlosen Schreien. An der unterdrückten Wut. Selbst jetzt. Ich spüre die Tränen aufsteigen und drücke sie mit aller Macht zurück. Ich spüre die Schreie, die Wut, die Verzweiflung. Und kann sie doch nicht herauslassen.

Und jedesmal denke ich daran, dass du bloß vorausgegangen bist. Voraus in eine Welt, in der du keine Schmerzen mehr hast. Voraus in eine Welt, in der wir uns eines Tages wiedersehen werden. Dieser Gedanke tröstet mich ein wenig, Papa, aber der Schmerz bleibt. Du fehlst mir. Tag für Tag. Und so wird es wohl auch immer sein...
Die wilde Rose - 9. Jun, 05:47

Es ist Zeit...

... ihn loszulassen.
Auch wenn es schwerfällt.
Papa wird immer ein Teil unserer Familie sein - und er wird immer einen Platz in unserem Leben und unserem Herzen haben.

Ich fürchte, du hättest dich der "finalen Wahrheit" auf dem Friedhof schon viel früher stellen müssen - glaube aber nicht, dass es dir wirklich hilft, wenn du alleine (oder auch mit jemandem dem du vertraust) zum Grab gehst. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du dort nicht weinen wirst - denn du müßtest den Heimweg dann mit rotgeweinten Augen antreten. Und der Stolz, der dich auch in schweren Zeiten irgendwie aufrecht erhält, und der in der Familie liegt (mir geht es ja nicht anders) würde das nicht zulassen.

Wenn du willst, machen wir beide mal, wenn das Krümelchen bei ihrem Papa ist, einen Gedenktag bei dir daheim. Dann kannst du alles rauslassen, und es wird dir sicher besser gehen. Und dein Stolz kann eine kleine Weile ruhen.

Aber das, was du da machst - dieser Versuch Papa irgendwie festzuhalten, auch nach all den Jahren. Das führt zu nichts - außer, dass es dir mehr und mehr weh tut...

*drück*

deprifrei-leben - 12. Jun, 12:25

Ich drücke dich in Gedanken.

Mein Vater lebt zwar, aber er will nichts mit mir zu tun haben.
Manchmal wäre da ein Grabstein eine einfachere Sache. Es gebe einen Abschluss und ich könnte trauern.

SternchenJG - 22. Jun, 11:58

Ach liebe Kayla. Ich kann Dich gut verstehen. Und doch muss ich Dich mal imaginär schütteln. Oh weh, ich komme mir schon vorher vor wie Frau Allwissend, aber ich habe doch vor kurzem ein Trauerseminar besucht und daraus folgendes mitgenommen:

Du musst und kannst in dieser Hinsicht nicht stark sein. Du MUSST den Schmerz, die Tränen und die Wut wirklich durchleben, um Deinen Papa irgendwann loslassen zu können.Und Du musst auch nicht für Krümel stark sein. Man darf doch traurig sein, und auch Tränen dürfen sein. Wenn Du sie Dir verbietest, verbietest Du sie unbewusst auch Krümel. Sind sie doch wie ein Überlaufventil, wenn der innere Druck zu groß wird. Wenn Dir nach SCHREIEN ist, dann geh irgendwohin in den Wald und SCHREI! Gib Deiner Trauer einen AUSdruck. Nur so wirst Du irgendwann damit umgehen können. Du darfst weinen. Hast Du doch so einen riesigen Verlust erlitten. Und wenn Du nicht weinst, obwohl Du seit Jahren weinen möchtest, beraubst Du Dich selbst der Erfahrung, irgendwann statt Wut und Schmerz auch Dankbarkeit und Freude beim Gedanken an Deinen Papa zu empfinden... Weine! Weine! Weine! Lass die Trauer zu. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Menschlichkeit.

Ich umarme Dich ganz fest.

(Ich hoffe das war jetzt keine zu heftige Einmischung...)

Rumpelwald (Gast) - 23. Jun, 16:20

Liebe Kayla
ich habe jetzt eben erst deinen Text gelesen *schäm*
Er... er ist so berührend!

Nur ganz kurz... nur einen kleinen Augenblick lege ich meinen Arm um deinen Rücken... nur kurz... Für diesen Moment stehe ich neben dir, kann alles was du sagst nachEMPFINDEN.
Ich glaube sehr daran dass wir geliebte Menschen wiedersehen werden, ganz doll glaube ich dran!
Der Eintrag ist eine Liebeserklärung an deinen Papi. So etwas geht NIE verloren!
Ich glaube GUTE Gedanken und Worte erreichen sie, egal wo.

Ich denke grad an dich!
Liebe Grüße dir
*drück*

Kayla - 23. Jun, 20:38

Ich möchte euch allen für die Kommentare danken - aus jedem Einzelnen konnte ich etwas für mich mitnehmen - ja, ich habe geweint und mich trösten lassen (was für mich schon ein großer Schritt war), ich habe einige Gedanken und Gefühle ausgesprochen, über die ich immer geschwiegen habe bzw. die mir teilweise selbst einfach nicht bewußt waren.
Ich drück euch alle einfach mal!


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